Nachbarschaft grüner gestalten

Nachbarschaft grüner gestalten

Die Sonne strahlt über dem Hof des Stadtschlosses in der Rostocker Straße 32, und wir sitzen zu dritt an einem der kleinen Tische neben den Fahrrädern. Leonie Wagner springt kurz auf und holt uns Kaffee aus dem Nachbarschaftstreff, während ihre Kollegin Jennik Schmitz schon erzählt. Die beiden sind Mitglieder und festangestellte Mitarbeiterinnen des Vereins RESTLOS GLÜCKLICH e.V. Seit sieben Jahren gibt es diesen Bildungsverein mit Sitz in einem Coworking-Büro in Schöneberg. Seine rund 25 Mitglieder haben sich vor allem die Abfallvermeidung zum Ziel gesetzt. Sie möchten gern die große Lebensmittelverschwendung reduzieren. Klimaverträgliche Ernährung ist ein weiterer Schwerpunkt. „Wir retten Lebensmittel und haben auch die grüne und essbare Stadt als Thema entdeckt. Wir möchten Klimaschutz und Ernährung miteinander verbinden,“ so Jennik. Sie und Leonie sind zusammen mit ihrer Kollegin Ramona Holzer, der Dritten im Bunde, mit dem QM-geförderten Projekt „Nachbarschaft grüner gestalten“ im Beussel- und Huttenkiez aktiv. Unterstützt werden sie von Ruth Topper, einer Bundesfreiwilligen im ökologischen Jahr. Mit „Nachbarschaft grüner gestalten“ ging es vor kurzem los, Anfang April 2022. Die Projektlaufzeit endet im Dezember 2024. Im „mit Grünflächen unterversorgten Bezirk Mitte“ möchte das Projektteam einen wohnortnahen begrünten Verweilort errichten, „gern Hand in Hand mit der Verwaltung“. Vielleicht wird es ein „Parklet“ werden. So bezeichnen sie „Stadtmöbel“ auf ehemaligen Parkplatzflächen, die durch Aufbauten, z.B. aus Holzpaletten, mehr öffentlichen Raum für Menschen statt Autos zur Verfügung stellen.

Jennik Schmitz und Leonie Wagner (von links)
Jennik Schmitz und Leonie Wagner (von links) beim Interview im Stadtschloss-Hof

Der Verein hat bereits Erfahrungen aus einigen anderen Berliner QM-Gebieten wie der Weißen Siedlung (Neukölln), dem Brunnenviertel (Mitte), dem Auguste-Viktoria-Kiez (Reinickendorf) und dem Falkenhagener Feld (Spandau), in denen der RESTLOS GLÜCKLICH e.V. schon länger tätig ist. Ähnliche QM-Projekte im Kosmosviertel (Treptow-Köpenick) und Rixdorf (Neukölln) sind bereits abgeschlossen. Nicht alle Erfahrungen dabei waren positiv: eine lange Speisetafel im Brunnenviertel zu installieren, wurde leider behördlicherseits abgelehnt. Stattdessen baut das Team dort nun gemeinsam mit Leuten aus der Nachbarschaft eine mobile Küche. Das Gerüst dafür ist eine Art Bollerwagen, auf dem ein Gaskanister installiert wird, der zwei Kochflammen versorgt. Als zweites Objekt schwebt Jennik eine Bierzeltgarnitur auf Rädern vor. Diese beiden Gefährte könnten dann gemeinsam in die Parks ausfahren: auf einem wird zusammen gekocht, und auf dem anderen das Mahl gegessen. Untergestellt werden die Objekte bei einem sozialen Träger, ausleihbar für alle Interessierten aus dem Gebiet. Apropos, ein Parklet auf Rädern, das wäre vielleicht etwas für den Beussel- und den Huttenkiez?

In Moabit möchte sich das Projektteam demnächst bei mehreren Veranstaltungen des Vereins bwgt e.V. beteiligen. Deren temporäre Spielstraßen finden abwechselnd im Huttenkiez (Ufnau- oder Wiebestraße) und im Beusselkiez (Rostocker Straße oder Berlichingenstraße) statt, und zwar freitags von 15 bis 18 Uhr im Wechsel in den beiden Kiezen. Dafür bereits feststehende Termine sind der 15. Juli und der 2. September 2022. Jennik, Leonie und Ramona werden dann Interessierten z.B. zeigen, wie sie Samenbomben selber machen, und wie man sie auf Grün- und Brachflächen oder dem eigenen Balkon einbringen kann. Auch Sprossen-Gläser werden dann gebaut sowie Kresse-Schalen aus Eierkartons. Dabei haben die Aktivistinnen immer den Gedanken an die Wiederverwendung von Materialien und Ressourcen im Blick. Ähnlich wie der RESTLOS GLÜCKLICH e.V. viele Kochrezepte zur Resteverwertung zusammengestellt hat, ist auch geplant, Beratungshinweise zur Balkonbepflanzung aufzubereiten. 2024 soll es dann eine Broschüre über „Nachbarschaft grüner gestalten“ geben.

Logo des Vereins

Darin wird man diese Tipps finden. Apropos Resteverwertung, nach konkreten Hinweisen gefragt, fällt Leonie und Jennik zuerst die Brotlette ein. So nennen sie die klimafreundliche Alternative zur traditionellen Boulette aus Hackfleisch. Für die Brotlette zerkrümelt man altes Brot, raspelt dazu Rote Beete und Zwiebeln klein und vermengt schließlich alles zusammen mit dem zerkleinerten Grün vom Möhren sowie Kohlrabiblättern. „Vom Blatt bis zur Wurzel“ so das Motto eines Workshops von RESTLOS GLÜCKLICH, denn alles am Gemüse und Obst wird verwendet. Vieles Gute, wie z.B. Mineralstoffe, befindet sich in der Schale. So kann man nicht nur aus Kartoffelschalen, sondern auch aus den Schalen von Roter Beete sowie aus dem Strunk von Broccoli und Blumenkohl sowie aus Kohlrabiblättern mit etwas Öl und Salz im Backofen knusprige Chips selber machen. Gemüsereste und Schalen kann man daheim auch in einer Plastetüte sammeln, einfrieren und dann, wenn genug Reste zusammengekommen sind, daraus eine Brühe kochen. Das Schöne daran: Nichts davon muss man schon wissen, vieles kann man dazulernen, beruhigen die beiden Frauen. „Zwei Mal pro Woche retten wir Lebensmittel“, erzählt Jennik. Dies geschieht in Kooperation mit der Biosupermarktkette Denns. Vor allem Milchprodukte seien noch viel länger haltbar, als das aufgedruckte Mindesthaltbarkeitsdatum suggeriere, berichtet sie. Man sollte daher seinen Sinnen trauen, mal daran riechen oder einen Löffel kosten, bevor man die Milch oder den Joghurt ohne Nachzudenken einfach wegwirft.

Jennik Schmitz ist gebürtige Berlinerin. Sie studierte Kulturarbeit und nachhaltigen Tourismus in Potsdam und Eberswalde. Im Rahmen ihrer Masterarbeit mit dem Fokus auf kulinarischem Tourismus entwickelte sie eine „Genussreise durch Schottland“. Zunächst arbeitete sie ehrenamtlich für den Restlos Glücklich e.V. Seit 2020 ist sie feste Mitarbeiterin und im speziellen verantwortlich für die Projekte in den QM-Gebieten. Leonie stammt aus Offenbach und studierte in Gießen Ökotrophologie. Diätberatung an Kliniken und Reha-Einrichtungen kam für die Hessin nach dem Studium nicht in Frage, doch interessiert sie sich für’s Kochen und schätzt Lebensmittel wert. Durch ein dreimonatiges Praktikum beim Restlos Glücklich e.V. im Jahr 2021 kam sie zur festen Mitarbeit im Verein und beim QM-Projekt in Moabit. Sie ist jetzt eine von insgesamt 14 Festangestellten des RESTLOS GLÜCKLICH e.V., der sich aktuell in einem Umstrukturierungsprozess befindet. 

Mit diesen Schürzen sind sie kaum zu übersehen

„Alle an einen Tisch zu bringen“, das schwebt Leonie und Jennik vor, wenn sie an ihre künftigen Aktionen in den Einrichtungen in Moabit denken. Wenn es um die Bildung von Gruppen und neuen Gemeinschaften geht, haben sie bisher sehr gute Erfahrungen mit Stadtteilmüttern als Multiplikatoren gemacht. Auch mit Jugendfreizeiteinrichtungen wie dem Schlupfwinkel in der Kaiserin-Augusta-Allee möchten sie gern zusammenarbeiten. Dabei haben sie die Grünfläche zur Straße hin im Blick und denken über Patenschaften nach.

Wie sie auf sich aufmerksam machen werden? Natürlich sind Plakate und Informationsblätter in Planung, doch geht nichts über die persönliche Ansprache und dabei  auch eine optische Präsenz, die sofort ins Auge fällt. Die beiden kramen kurz in ihren Taschen und zaubern zwei rosa- oder eher pinkfarbene Schürzen mit dem Vereinslogo hervor. Damit werden sie auf den anstehenden Kiezfesten sicher nicht zu übersehen sein. Am 22. Mai 2022 soll es - innerhalb der „Woche der Nachbarschaft“ - ein Fest des Moabiter Ratschlag e.V. im Huttenkiez geben. Dabei werden sie mitmachen und Interessierte ansprechen, genauso wie auch am 2. Juli, wenn der Moabiter Ratschlag e.V. die „30 + 2 Jahre“ seines Bestehens feiert.

Jeder und jede kann selbst etwas machen, bewirken und verändern. Wichtig sei es, Dinge zu hinterfragen. Alle, die aktiv dabei helfen möchten, ihre Nachbarschaft grüner zu gestalten, können sich selbstverständlich beim Team melden. Noch ist die Unter-Webseite speziell für das Projekt in Arbeit, doch findet man eine Übersicht zu den bisherigen und laufenden QM-Projekten des Vereins unter https://www.restlos-gluecklich.berlin/prima-klima und https://www.restlos-gluecklich.berlin/unsere-kueche

Kontakt zu „Nachbarschaft grüner gestalten“:

Jennik Schmitz, Leonie Wagner und Ramona Holzer: Tel. 0178 5283464, E-Mail: prima.klima@restlos-gluecklich.berlin, mehr zum Verein RESTLOS GLÜCKLICH: www.restlos-gluecklich.berlin

Text & Fotos: © Gerald Backhaus 2022

Quartiersmanagement Beusselstraße

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