Zur Geschichte des Ortsteils Moabit
Moabit ist ein Arbeiterbezirk in der Mitte Berlins und Ortsteil des Verwaltungsbezirkes Mitte. Der Ortsteil Moabit wird begrenzt durch die Spree, den Charlottenburger Verbindungskanal, den Berlin-Spandauer Schifffahrtskanal, sowie West-, Nord- und Humboldthafen. Seit der Fertigstellung des Charlottenburger Verbindungskanals im Jahr 1875 ist Moabit mit seinen 21 Brücken somit eine Isel.
Das ländliche Moabit
Lange bestand der „Hintere Tiergarten“ (frühere Bezeichnung von Moabit) ausschließlich aus Moor-, Heide- und Waldlandschaft. Erst im Jahre 1716 entstand die erste Kolonie. Zwischen der heutigen Strom- und Werftstraße wurden 24 Parzellen an Hugenotten, französische, religiös verfolgte Flüchtlinge, vergeben, um Wohnhäuser und Maulbeerbaumplantagen zur Seidenraupenzucht zu errichten.
Der Name „Moabiter Land“ entstand höchstwahrscheinlich mit dieser ersten Ansiedlung der Hugenotten und wird 1738 erstmals erwähnt. Er geht zurück auf das Land der Moabiter, das im Alten Testament Asylland für die flüchtenden Israeliten war. So wie die Israeliten das gelobte Land Kanaan über den Jordan sehen konnten, waren die Franzosen von der florierenden und anziehenden Stadt Berlin durch die Spree getrennt.
Die französischen Einwanderer scheiterten mit ihren Unternehmungen sehr bald und verkauften ihre Grundstücke an wohlhabende Berliner, die sich dann Landhäuser errichteten. Mehrere Gasthäuser und Schänken entstanden, unter anderen das des Franzosen Martin. Das Gebiet nord-westlich der französischen Kolonie verdankt ihm den Namen „Martinickenfelde“. Moabit blieb lange Ausflugs- und Erholungsort, vor allem für die „kleinen Leute“ aus Berlin.
Im 19. Jahrhundert: die Industrialisierung
Im Jahre 1801 zählte Moabit 120 Einwohner. Ende des 19. Jahrhunderts dagegen wohnten dort schon 93 463 Menschen. Grund für dieses Bevölkerungswachstum war die florierende Industrialisierung.
Porzellanindustrie
Schon 1835 verlegte F. A. Schumann seine Porzellanmanufaktur von Sachsen nach Moabit. In der Nähe gründete Schomburg 1853 seine Porzellanfabrik, so dass das Gebiet Standort der Moabiter Porzellanindustrie wurde und das Luxusprodukt Porzellan zum Gebrauchsgut wurde.
Die Borsig-Werke
August Borsig (1804-1854) eröffnete 1849 seine Maschinenbaufabrik in Moabit zwischen Kirchstraße, Alt-Moabit und Spree. Die Werkanlage wurde nach und nach durch den Kauf der Maschinenbauanstalt der Seehandlung in der Kirchstraße und mehrere Grundstücke zwischen Alt-Moabit und Spree erweitert. Die Firma Borsig wurde zu einem Wahrzeichen großer Modernität und technischen Fortschritts im Maschinenzeitalter.
Die Bolle Meierei
Im Jahre 1887, eröffnete Carl Bolle (1832-1910) seine Meierei auf dem ehemaligen Grundstück des Porzellanfabrikanten Adolf Schumann (heute Alt-Moabit 99-103). Die Meierei, samt Kesselanlage, Werkstatt-, Stallgebäude, Räumen für eine Kirche, Festsälen, Kino, wuchs ständig. Bis 1967/68 verdoppelte die Firma ihre Gesamtfläche auf 46 000 Quadratmeter. Nach dem Tod des Gründers 1911 wurde die Firma eine Aktiengesellschaft, die 2500 Menschen beschäftigte.
Die Unternehmen von Borsig und Bolle gehörten zu der ersten Phase der Industrialisierung in Moabit. Obwohl beide Unternehmen Symbole der Modernität waren, wiesen sie starke patriarchalische Züge auf.
Gefängnis
Der östliche Teil Moabits wurde außerdem von Militär und Justizeinrichtungen geprägt. 1847 wurde das Zellengefängnis fertig gestellt, dann in der Nähe andere Strafanstalten, sowie Gerichte (1906: Neues Kriminalgericht, Turmstraße), Exerzierplätze und 1848 die Kaserne des 2. Garde-Ulanen-Regimentes
Loewe und AEG
Die zweite Phase der Industrialisierung fand im heutigen Moabit-West statt. Auf den Martinickenfeldern gründete L. Löwe 1888 die Waffen- und Munitionsfabrik. Das Unternehmen produzierte Gewehre und hatte eine elektrische Abteilung für Werkzeugmaschinen. Um die Jahrhundertwende (1900) siedelte sich die „AEG-Glühlampenfabrik/ Telefunken-Röhrenfabrik“ in Moabit an. Die von Emil Rathenau (1838-1915) gegründete Firma hatte in den 90er Jahren eine dominante Stellung im Bereich der Elektroindustrie und expandierte zunehmend.
Die beiden Unternehmen verwandelten diesen Teil Moabits in ein großstädtisches Industriegebiet. Durch sie wurde Moabit zum Arbeiterviertel, in dem die Arbeiter sich zunehmend sozial und politisch streng organisierten, im Gegensatz zu den Arbeitern von Borsig oder Bolle.
Entwicklung der Infrastruktur
Seit der Eingemeindung 1861 gehört Moabit verwaltungsmäßig zu Berlin und wurde bei den neuen großen städtischen Bebauungsplänen berücksichtigt. Die Infrastruktur wurde ausgebaut: neue Straßen angelegt, neue Wohnungen (Siedlung Neu-Moabit), neue Brücken, Kanäle gebaut. Die Transportmittel entwickelten sich, 1900 fuhr die erste elektrische Straßenbahn durch Moabit. Das Stadtbild des Viertels änderte sich rapide.
Von 1880 bis 1912 vollzog sich der Bau der so genannten Mietskasernen: meistens fünfgeschossige Mietshäuser, dicht aneinander gebaut mit engen, lichtarmen Hinterhöfen. Überbelegte, kleine Wohnungen, die öfters nur aus einer Küche und einer Stube bestanden, beherbergten kinderreiche Arbeiterfamilien. Moabit war, neben der Ackerstraße im Wedding, das am dichtesten bewohnte Gebiet in Berlin.
Die Bevölkerungszunahme ist auch Ursache für die Errichtung von Schulen (1852: erste staatliche Schule), Kirchen (St. Johanniskirche, von Schinkel entworfen und vom König bezahlt), Krankenhäusern (1872, Krankenhaus Moabit) und Markthallen (1891, Arminius Markthalle). Das Kraftwerk Moabit wurde 1899 gebaut.
Die Bevölkerung bestand fast ausschließlich aus Arbeitern. Diese Konzentration der Arbeiterbevölkerung brachte ein kulturelles Milieu hervor, in dem Solidarität die einzige Möglichkeit war, gegen die vorherrschenden miserablen Bedingungen der Wohn- und Arbeitverhältnisse zu kämpfen. Das gemeinschaftliche und kulturelle Leben bereicherten Kinos, Bibliotheken und nicht zuletzt Lokale. Der Turn- und Sportverein Gutmuths, heute an der Wullenweberstraße, wurde 1861 gegründet.
Streiks und Demonstrationen
Die wirtschaftliche Krise, die Rezession und die zum erheblichen Teil miserablen Wohn- und Lebensbedingungen führten die Arbeiterbevölkerung Moabits zum starken politischen Bewusstsein. 1910 demonstrierten in Tiergarten 150 000 Berliner gegen das Dreiklassenwahlrecht. Der Streik in der Sickingenstraße im September 1910 fand eine internationale Resonanz in der Presse. Während der Mai-Feier 1929 kam es auch in Moabit zu blutigen Straßenkämpfen. Soziale Konflikte führten regelmäßig zu Mieter- oder Arbeiterstreiks, die in gewaltsamen Auseinandersetzungen mit der Polizei endeten.
Aus den Standesamtsbezirken Moabit, Tiergarten-Viertel, Untere Friedrichstadt, Schöneberger Vorstadt und unter Einbeziehung des Tiergartens und des Zoologischen Gartens entstand nach der Verwaltungsreform von 1920 der Bezirk Tiergarten.
Nationalsozialismus, 2. Weltkrieg und Wiederaufbau
Als die NSDAP immer stärker wurde, wurde Moabit Schauplatz heftiger Straßenkämpfe zwischen kommunistischen Arbeitern und der SA. Viele Sozialdemokraten und Kommunisten mussten nach der Machtübernahme der NSDAP ihren Widerstand gegen das Regime mit ihrem Leben bezahlen.
Die Synagoge in der Lewetzowstraße wurde während des Progroms des 9. Nov. 1938 verwüstet. Sie wurde 1941 das erste Sammellager in Berlin für die Deportation jüdischer Bürger. Vom Bahnhof Putlitzstraße wurden insgesamt 35 000 Menschen in die Vernichtungslager transportiert (Im Januar 2007 wurde eine Gedenksäule am Eingang Quitzowstraße aufgestellt).
Schon im November 1943 wurde besonders der Beusselkiez stark von Bombenangriffen getroffen. Nach den Endkämpfen im April und Mai 1945 waren über zwei Drittel des Wohnraums zerstört. Die Straßen glichen einer Trümmerlandschaft.
Im Jahr 1945 wurde Tiergarten, also auch Moabit, Teil des britischen Sektors. Der Wiederaufbau musste geleistet werden, da so viele Gebäude zerstört oder stark beschädigt waren. Durch die nationalsozialistische Diktatur und den 2. Weltkrieg verlor Moabit seine Bedeutung als radikales, politisch engagiertes Arbeiterviertel. Wiederaufbau, Einführung der neuen Währung, politische Teilung des Staates waren die Hauptsorgen der Bevölkerung. Die Zeiten des „roten Moabit“ waren vorbei.
Zwischen 1958 und 1961 wurde Moabit an das U-Bahnnetz angeschlossen. Der Westhafen wird 1956 in Betrieb genommen. Der Großmarkt Beusselstraße eröffnete 1965.
In den 60er und 70er Jahren wurden viele ausländische Gastarbeiter nach Berlin geholt. Sie zogen auch nach Moabit. Heute macht ihr Anteil um die 30% der Moabiter Bevölkerung aus, inzwischen in der dritten Generation.
Nach der Wiedervereinigung
Nach der Wiedervereinigung Deutschlands 1990 ist Moabit wieder ein Bestandteil des Zentrums von Berlin. Der ehemalige Bezirk Tiergarten, dem Moabit zugehörte, wurde bei der Bezirksreform 2001 mit den Bezirken Mitte und Wedding zusammengelegt. Sie bilden zusammen den neuen Bezirk Mitte von Berlin.
Infolge seiner Lage in unmittelbarer Nachbarschaft des Regierungsviertels wurden viele Neubauten wie z.B. das Bundes Innenministerium auf dem ehemaligen Bolle-Gelände gebaut. Neue Wohnungen am Moabiter Werder - vorwiegend für Regierungsangestellte - und der neue Hauptbahnhof (Lehrter Bahnhof), größter Kreuzungsbahnhof Europas, geben dem östlichen Teil von Moabit ein neues Erscheinungsbild.