Das Stadtteilplenum

Das Stadtteilplenum ist ein offenes Plenum für Bewohnerinnen und Bewohner sowie Engagierte in Moabit, das seit 2002 durch das Quartiersmanagement Beusselstraße (Moabit West) in Kooperation mit dem Moabiter Ratschlag e.V. organisiert wird. Seit 2021 sind auch das Quartiersmanagement Moabit Ost und die Stadtteilkoordination Moabit Ost im Planungsteam. Jedes Plenum setzt sich ein bestimmtes Thema als Schwerpunkt, zu dem  Expertinnen und Experten als Gäste eingeladen werden. Dies können Bezirksamtsmitarbeiterinnen, Vertreter aus der Politik oder anderer Institutionen sein. Sie diskutieren gemeinsam mit den Besucherinnen und Besuchern oder stellen ihr eigenes Tun vor. Darüber hinaus tauscht sich die Anwohnerschaft über Aktuelles aus dem Kiez aus. 

Das Plenum tagt alle zwei bis drei Monate an einem Dienstagabend, z.B. im Stadtschloss Moabit, an anderen Orten in Moabit oder digital. 

Die Nachbarschaft ist herzlich eingeladen, am Stadtteilplenum teilzunehmen. Eine Anmeldung ist nicht notwendig und der Eintritt ist kostenfrei. Wenn Sie eine Ankündigung für den Kiez haben oder Ihr Projekt öffentlich im Stadtteilplenum vorstellen wollen, können Sie uns gerne kontaktieren. 

Stadtteilplenum im November 2024 zu den drohenden Kürzungen

Stadtteilplenum im November 2024 zu den drohenden Kürzungen

Ein Abend im Zilleklub in der Rathenower Straße. Im Theatersaal ist ein großer Stuhlkreis aufgebaut, am Rande stehen Getränke und kleine Speisen bereit. Immer mehr Gäste nehmen Platz, darunter auch einige Jugendliche sowie junge Frauen und Männer. Über der Bühne prangt der Schriftzug #UNKÜRZBAR. Beim vierten Stadtteilplenum des Jahres soll es um die Situation der Jugend in Moabit gehen. Kurzfristig wurden die aktuell drohenden finanziellen Kürzungen des Berliner Senats auf die Tagesordnung gesetzt. Ihre Auswirkungen auf die Jugendarbeit im Bezirk Mitte stehen im Mittelpunkt des Plenums mit dem Titel „Kürzungen in Mitte – Jugendarbeit in Gefahr?“ 

Nach der Begrüßung durch die Moderatorin Tuğba Kıratlı-Spriewald entern zunächst Kinder der Gruppe „Stadtschlosskids“ des Moabiter Ratschlags e.V. zusammen mit ihrer Leiterin Susanne Vogt-Likus die Bühne. Die Kinder haben gemalt und dazu ihre Wünsche und Meinungen aufgeschrieben. Susanne Vogt-Likus liest sie alle vor, darunter z.B. „Ohne Stadtschloss können wir nicht leben“, „Nehmt das Geld den Reichen weg“, „Zuhause haben wir keinen Tobebaum“, „Warum wir Geld brauchen: für Picknick und Plötzensee und Material“ und „Wir brauchen Geld für Badeausflüge“. Dann singen die Kinder das „Stadtschloss-Lied“ auf der Bühne. Darin geht es darum, wie wichtig ein solcher Ort mit seinen Angeboten für sie ist. Moderatorin Tuğba Kıratlı-Spriewald nahm die Zeichnungen der Kinder mit dem Protest gegen die Kürzungen entgegen. Sie selbst arbeitet in der Koordinierungs- und Fachstelle der Partnerschaften für Demokratie „Demokratie in der Mitte“ und berichtet darüber, dass deren Projekte „Zusammen gegen Rassismus in Wedding/Moabit“ vom Bund finanziert werden und es auch hier zu Kürzungen kommt, wenn auch nicht durch die Landesebene.

Als nächstes betritt eine Bollywood-Gruppe die Bühne. Die drei jungen Frauen verzaubern die Gäste mit ihren Tänzen zu traditioneller und poppiger indischer Musik. Sie trainieren zusammen mit einigen Mädchen unter dem Dach des BC Lions. Dieser Moabiter Sportverein ist froh darüber, neben seinen vorwiegend von Jungs frequentierten Trainingskursen mit diesem Tanzkurs nun auch ein Bewegungsangebot zu haben, das sich speziell an Mädchen richtet, so Projektleiter Nico Adamczak – mehr zu BC Lions-Angeboten: https://www.moabit-ost.de/aktuelles/interviews-von-gerald-backhaus/dezember-interview-bc-lions/

Dem Bollywood-Spektakel folgt ein Auftritt des Rappers Fode, der zwei Titel mit deutschem Sprechgesang darbietet. Danach wird ein Video über die zahlreichen Aktivitäten in der Jugendeinrichtung „Bredowtreff“ gezeigt. Die Kinder und Jugendlichen singen darin „Denk mal positiv, wir sind in Moabit 21“. Nach der anschließenden Pause, bei dem sich die Plenumsgäste bei Essen und Getränken stärken, geht es unter der Leitung von Moderatorin Tuğba weiter mit einer Gesprächsrunde. In der offenen Diskussion können alle ihre Fragen und Meinungen einbringen. „Dieser Ort ohne Menschen ist nur Beton“, sagt Tuğba in Bezug auf die Einschränkungen im Jugendbereich durch die drohenden Kürzungen. Zunächst gibt es Gelegenheit für die SPD-Politikerin Dr. Maja Lasić und den Grünen-Vertreter Taylan Kurt, um die anstehenden Kürzungen zu erläutern. Dr. Maja Lasić ist Sprecherin für Bildung, Wissenschaft und Forschung im Berliner Abgeordnetenhaus. Sie vertritt den Bezirk Mitte, genauer gesagt den Stadtteil Wedding und verantwortet vor allem den Bereich Schule. Taylan Kurt ist der Moabiter Abgeordnete von Bündnis 90 / Die Grünen. Er kümmert sich „vor allem um arme Menschen“, aber auch um Radwege, neue Wohnungen usw.

Die Kürzungen im Bildungsbereich betreffen die Berliner Landesebene und nicht die bezirkliche Ebene. Sie wurden am 26.10.24 im Senat beschlossen, sind aber noch nicht durch das Landesparlament gelaufen, so dass heute erst ein Zwischenstand präsentiert werden kann. Wie Dr. Maja Lasić von der Berlin mitregierenden SPD erläutert, besteht die Problematik darin, dass es in der Bilanz des Berliner Haushaltes 3 Mrd. Euro mehr auf der Ausgabenseite als auf der Einnahmenseite gibt. Die Ursachen für dieses Defizit seien vielfältig, u.a. seien sie auf die Folgen der Corona-Pandemie zurückzuführen. Die Kürzungen in Höhe von 3 Mrd. Euro tun zwar weh, so Dr. Lasić, seien aber nicht abzuwenden. Entstehende Härten sollen unterschiedlich stark aufgeteilt werden. Der Bereich Bildung und Jugend ist mit 350 Mio. Euro bzw. mit 7 % Kürzungen im Etat weniger hart getroffen als z.B. die Bereiche Kultur und Verkehr mit jeweils über 10 % Kürzungen. Im Bereich Bildung und Jugend geht es fast ausschließlich um Personal. Die Landesebene möchte die Lasten gerecht aufteilen. „Ein Viertel unseres Gesamthaushaltes betrifft die Bezirke, und die müssen nicht bei der Jugend kürzen“, sagt Dr. Lasić. Der Preis für den Schutz der Bezirke sei allerdings, dass auf der Landesebene gekürzt werden müsse. Gespart wird z.B. an der Digitalisierung, weil in diesem Bereich keine Menschen direkt betroffen sind. „Wir wollen versuchen, bei den Kürzungen von 350 Mio. Euro Bereiche zu finden, in denen es weniger weh tut.“

Taylan Kurt von den Grünen, die im Abgeordnetenhaus in der Opposition sind, ergänzt, dass es in Moabit viele arme Menschen und besonders viele arme Kinder gibt, die Orte wie den Zillleklub brauchen. Die 3 Mrd. Euro, die in Berlin eingespart werden sollen, betreffen viele Projekte u.a. beim Verkehr und Umweltschutz, bei der BVG, aber auch im Bildungsbereich- und Jugendbereich. Bei der freien Jugendarbeit/Jugendhilfe sollen 7 Mio. Euro gekürzt werden. Der Bezirk Mitte habe zum Glück einen eigenen Haushalt. Damit alle Jugendeinrichtungen in Mitte geöffnet bleiben können, wird z.B. an Grünanlagenpflege gespart. Taylan Kurt wünscht sich, dass die Politik künftig Garantien dafür geben kann, dass Projekte 5 Jahre lang - also eine Legislaturperiode - durchfinanziert werden. „Wir müssen davon wegkommen, dass alle 2 Jahre Existenzen auf dem Spiel stehen.“ SPD-Frau Maja Lasić bestätigt, dass es richtig sei: bezirkliche Einrichtungen wie der Zilleklub sind nicht von den Kürzungen betroffen.

Nach den Erläuterungen der Kürzungen melden sich verschiedene Plenumsgäste zu Wort: Irene Stephani vom Moabiter Kinderhof spricht als Vertreterin für das Bündnis #unkürzbar: Damit das Bündnis nicht protestierend auf die Straße gehen muss, wünscht es sich mehr Verlässlichkeit und Kontinuität seitens der Politik, damit man Projekte künftig verlässlicher planen kann. Für Susanne Vogt-Likus von den Stadtschlosskids des Moabiter Ratschlags e.V. geht es nicht um die einzelne Kürzung, sondern um das Gesamtproblem. Sie plädiert für eine Aussetzung der Schuldenbremse und mehr Umverteilung in der Gesellschaft. Teresa Fischer arbeitet seit 7 Jahren bei Gangway e.V., einem Träger der Straßensozialarbeit. Sie hatte ein altes Projekt von 2012 mit dem Titel „Jugend verschwindet“ herausgesucht und beklagt, dass die Lage der Jugendarbeit unmöglich sei, weil sich seit dieser Zeit nichts zum Positiven verändert habe. Fadime Topaç, Geschäftsführerin des Evangelischen Klubheims, dem Träger des Zilleklubs, ist seit 34 Jahren in der sozialen Arbeit tätig. Auch die Finanzen für Räume für Kinder und Jugendliche stehen auf der Kippe. Besonders ärgerlich für sie ist es, dass bei der Vergütung des Personals der Familienzentren gespart werden soll. „Wie soll man dann noch Fachpersonal bekommen?“ 

SPD-Frau Dr. Maja Lasić versteht diesen Frust und bestätigt, dass auch die Tarifangleichung unter die Kürzungen fällt. 9 Mio. Euro bräuchte man für eine faire Bezahlung bei den freien Trägern, damit sie den Angestellten im öffentlichen Dienst gleichgestellt werden. Sie befinde sich in einem Dilemma und muss im Einzelplan zwischen Kürzungen oder fairer Bezahlung abwägen.

Markus Lehmann, Leiter des Jugendamtes Mitte, entscheidet über die Verteilung der Gelder im Bezirk und ist seit 35 Jahren in der Sozialarbeit tätig. Er berichtet, dass es 2010/11 schon mal ein großes Tief durch drastische Kürzungen im Haushalt gab. Damals mussten 10 bis 12 Jugendfreizeiteinrichtungen geschlossen werden. Es dauerte 8 Jahre, um den vorherigen Stand wieder zu erreichen. Auch er hofft, dass für die Jugendarbeit mal 5 Jahre lang Ruhe ist und dass die Tarife des öffentlichen Dienstes auch für freie Träger gelten. Er ist froh darüber, dass im Bezirk Mitte nicht gekürzt wird. Das Tarifmittelrecht bedeutet für Mitte allerdings eine Summe von 1 Mio. Euro. Es sei also eine Entscheidung zwischen Kürzungen bei der Kinder- und Jugendarbeit oder der besseren Bezahlung bei den freien Trägern. Taylan Kurt von den Grünen ergänzt, dass der Senat 50 Mio. Euro Tarifvorsorge gestrichen hat. Er benennt die andauernde Unsicherheit als „Problem Projekteritis“ und möchte sowohl die Kinder- und Jugendarbeit als auch die Stadtteilarbeit auf 5 Jahre absichert sehen. Die Quartiersmanagements (QMs) in Moabit laufen Ende 2027 aus und bräuchten Nachfolgeprogramme.

Die Leiterin eines Jugendclub fragt, warum nicht über ein „Plus im Portemonnaie“ bzw. mehr Einnahmen statt Kürzungen gesprochen wird? SPD-Frau Lasić darauf: Dafür gäbe es Spielräume auf der Landesebene, z.B. könnte das in Berlin sehr günstige Bewohnerparken (Vignette für ca 20 Euro für 2 Jahre) verteuert werden. Taylan Kurt ergänzt, dass eine Vermögensteuer nicht vom Land Berlin eingeführt werden kann, denn das geht nur auf Bundesebene. Man könne jedoch die Grunderwerbsteuer erhöhen, denn diese ist eine Landessteuer. Das träfe keine Armen, denn der kürzlich erfolgte Verkauf einer Eigentumswohnung in Moabit brachte z.B. 2 Mio. Euro. Solche Käufer könnten mehr Grunderwerbsteuer zahlen.

Susanne Vogt-Likus fordert, dass sich die Landes- und Bezirkspolitik an die Bundesregierung wendet: „Werdet sichtbar mit Forderungen!“ Und Moderatorin Tuğba Kıratlı-Spriewald fragt: „Wie könnte eine gemeinsame Perspektive aussehen? 

Ein Vertreter des Aktiven Zentrums Turmstraße weist darauf hin, dass dessen Förderung von 270.000 Euro im Jahr in zwei Jahren ausläuft. Davon sind z.B. der Stadtteilladen in der Krefelder Straße sowie die Stadtteilzeitung „Ecke Turmstraße“ betroffen. Er bittet darum, zusätzlich zu den Protesten gegen die Kürzungen auch Konzepte zu erarbeiten, um die Lage grundlegend zu beeinflussen. Um die Einnahmen der Stadt zu erhöhen, könnte man z.B. Abgaben für Hotels/Reisende oder für Veranstaltungen einführen.

Ein junger Mann erzählt, dass er die Moabiter Jugendklubs schon lange nutzt. Doch „das meiste, über das hier geredet wurde, verstehen wir nicht. Was wir aber verstehen ist, dass sich die Erzieher Sorgen machen und dass diese Orte wichtig sind, damit die Kinder Ausflüge machen können.“ Er berichtet, dass er z.B. Boxräume nutzen kann, was ohne Förderung nicht möglich wäre. „Wie kann es sein, dass der Jugendbereich überhaupt angefasst wird? Bitte macht wirklich was!“ appelliert er an die Politik.

Eine anwesende Lehrerin berichtet, dass die Kinder und Jugendlichen im Mittelpunkt stehen sollten und dass die Schule nicht alles abdecken kann. „Die Jugendklubs sind oft das zweite Zuhause!“ Ihr Wunsch sei es, möglichst die Kinder aus der ganzen Kürzungsdebatte herauszuhalten. Eine Vertreterin des Jugendpräventionsdienst ergänzt, dass man lieber präventiv arbeiten sollte, denn „Beziehungsarbeit braucht Kontinuität“.

Das Plenum hat zum Ziel, das Bewusstsein für die Bedeutung der Jugendarbeit zu stärken, mehr Transparenz für politische Prozesse zu schaffen und Jugendlichen sowie Interessierten eine Plattform zur Mitgestaltung anzubieten. Bevor es in lockerer Runde bei Speis und Trank und Einzelgesprächen weitergeht, beendet Tuğba Kıratlı-Spriewald den offiziellen Teil mit der Bitte an alle, die in der Politik wirken: „Wir würden gern Aktionen von Euch sehen!“

Das Stadtteilplenum Moabit wird organisiert und veranstaltet vom QM Beusselstraße gemeinsam mit dem QM Moabit-Ost, den Stadtteilkoordinationen Moabit-West und Moabit-Ost sowie dem B-Laden. Auch im Jahr 2025 sind wieder mehrere Stadtteilplena in Planung.

Text & Fotos © Gerald Backhaus 2024

kommende Termine

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